Emotion first“: scheint die unsere Gegenwart beherrschende Botschaft. Ob in Politik, Wirtschaft, im Social-Media-Diskurs: Erst Emotionen bzw. das Gefühl und dessen Beschwörung machen die Botschaft zum Hingucker, zum Aufmerksamkeitsfessler. Auf den gängigen Plattformen in extenso ausgelebt. In Folge 4 unserer Reihe von authentisch und zugleich anders-Phänomen, widmen wir uns der Bedeutung des Gefühls, seinen existenzsichernden Signalfunktionen, den Gefahren, die im Strudel der Emotionen lauern können und den Verheißungen im Verbund mit Vernunft. Dekliniert anhand der, auch im Unternehmenskontext so relevanten, Empfindungen Angst, Vertrauen und Glück.

 

Storytelling: Garnierung mit Emotionen

Wahlen könne man heute nur noch mit Stories gewinnen, sagt Barack Obama sinngemäß in einem Interview zu seinem Buch „Ein verheißenes Land“. Er meint die der Story innewohnenden Emotionen und bestätigt damit verhaltenspsychologische Studien : Informationen erfahren eine viel stärkere Aufmerksamkeit, wenn sie in eine emotionale Botschaft gekleidet sind als in nüchterne Fakten. Obama hat mit diesem Wissen 2009 („Yes, we can“) das Weiße Haus erobert, sein Nachfolger im Amt, Donald Trump, 2016 mit „America first“. Auch wenn die Gegensätze zwischen dem, Verbindung schaffenden, Ex-Präsidenten Obama und seinem, Spaltung provozierenden, bis Januar 2021 noch amtierenden, Nachfolger im Amt nicht größer sein könnten – so liegt das Gemeinsame doch im Fokus auf die emotionale Botschaft. „Emotion first“ könnte ein den Zeitgeist kennzeichnendes Bonmot lauten. Das gilt für Unternehmen nicht minder denn für die Politik.

Meetings: In der Manege der Emotionen

Vermeintlich ist Unternehmensalltag nüchtern, markieren alleinig Zahlen die Existenz und dienen Meetings der vernünftigen Übereinkunft, was als Nächstes ansteht. An Entscheidungen, Projekten, Zuständigkeiten. Alles weit gefehlt. Der Mensch, und der Mensch im Business nicht weniger (eher im Gegenteil), sind in hohem Maß Gefühlstiere. Im Meeting geht es nicht um rationale Erwägungen und Übereinkommen (die längst vorher verhandelt wurden); hier in der Manege tobt ein mehr oder minder verdeckter Kampf um Aufmerksamkeit, Deutungshoheit und Positionen. Wer betritt wann das Geschehen, wer sitzt wo, wer erhebt als erster das Wort, wer wird unterbrochen, wer nicht: sämtlich Signale des siegreichen sich auf die Brust Trommelns versus des furchtsamen sich in die Ecke Duckens im organisationalen Kosmos.

Emotionen als Ausweis des Widermenschlichen?

Verführen uns Emotionen also zu vorzeitlichem Gebaren? Wie es einst der Denker Hegel in seiner der reinen Ratio verhafteten Strenge proklamierte: „Das Widermenschliche, das Tierische besteht darin, im Gefühle stehen zu bleiben und nur durch dieses sich mitteilen zu können“. Das Hegelsche „nur“ scheint auf den ersten Blick im Widerspruch zu stehen zur oft existenzsichernden Funktion von Gefühlen. Mit seinem Buchtitel „Woher kommt die Liebe? Alle unsere klugen Gefühle von Angst bis Vertrauen“ zeichnet der geschäftsführende Redakteur von GEO Wissen, Claus-Peter Simon, ein differenziertes Bild.

Die Angst: Zwischen Lähmung und Ansporn

Nehmen wir die Angst: Gemeinhin gilt Angst als Schwäche (der Angsthase), als Defizit gar – im Unternehmenskontext als die den Fortschritt hemmende, zu besiegende, Angst vor Veränderung. Der klassische Change-Prozess apostrophiert die Verheißungen des Kommenden und stellt Angst in die Ecke der Rückständigkeit, des fehlenden Muts. Das ist zu kurz gedacht!

Angst hat eine überlebenswichtige Warnfunktion. Menschen, die grundsätzlich keine Angst kennen, sind krank; es gibt einen Namen dafür: Das Urbach-Wiethe-Syndrom kennzeichnet eine Verkalkung der Amygdala, der Hirnregion zur Lokalisierung von Gefühlen und Speicher der Empfindungen. Angst kann Leben retten: Vernahm etwa unser Ur-Ur-Ur-Ahn ein Rascheln im Gebüsch, so sinnierte er wohl kaum, woher das Geräusch wohl kommen möge, sondern ergriff flugs die Flucht, um nicht als Mittagsmahl des Säbelzahntigers zu enden (wie es der Schweizer Philosoph Rolf Dobelli so anschaulich in einem seiner kleinen Philosophiebände zu Fehlschlüssen erzählt).


Angst vor und in Veränderungsprozessen im Unternehmen kann ein sehr berechtigtes Warnsignal sein: Dann ist mein Job weg! Hier kann Angst – klug und vernünftig genutzt – ein rechtzeitiges Sondieren neuer beruflicher Möglichkeiten provozieren. Der Soziologe Heinz Bude verortet im Interview Angst auch als Quelle der Erkenntnis. Angst kann über die Existenzsicherung hinaus ein Motor für Kreativität sein, eben „das verkannte Gefühl“, wie Buchautor Simon ausführt – und an etlichen Beispielen belegt. So war der Regisseur Steven Spielberg ein außerordentliches furchtsames Kind, dem Spott seiner Altersgenossen preisgegeben; der Microsoft-Gründer Bill Gates war als 12-jähriger in psychologischer Behandlung, weil er so schüchtern und schutzbedürftig war. Diesen Menschen war die Angst offenkundig Lebens- und Leistungsansporn: Trotzdem!

 

Das Fehlen jeglicher Angst ist ein Krankheitssymptom

 

„Habt Vertrauen“: Vom Kalkül respondierender Emotionen

Als der Angst entgegengesetztes Empfinden kann das Vertrauen gelten. Auch dies ein vielschichtiges Phänomen – sowohl im individuellen Gefühlshaushalt als auch in der Bandbreite der Konnotationen. Gilt einerseits ein zu Vertrauensseliger als naiv, nicht fähig, zu durchblicken, was um ihn herum geschieht, so ist Vertrauen andererseits genau das, was von den Führungsebenen in Unternehmen allzu gern und sehr rasch eingefordert wird, speziell bei oft auch schmerzhaften Veränderungen: „Habt Vertrauen!“.

Womit wir in genau dem Gap zu verschwinden drohen – zwischen Vertrauensseligkeit, sprich durch nichts gerechtfertigtem blindem Vertrauen und einem Vertrauen, welches der Versprechende sich durch Taten verdient hat. In der Abwägung zeigt sich die Wechselwirkung zwischen genetischer Disposition – jeder Mensch hat, genetisch veranlagt, ein Ur- und Grundvertrauen (zu Lebensbeginn ist das menschliche Wesen komplett der Fürsorge anderer ausgeliefert) – und der, mit vernunftorientierten Faktoren durchwobenen Erfahrung: Wie belastbar das Empfinden von Vertrauen ist, ist eine Frage der Sozialisation. Vertrauen pointiert Claus-Peter Simon als „Klebstoff der Gesellschaft“. Menschliche Verbünde, die besonders in Unternehmen einer unaufhörlichen Bewährungsprobe unterliegen, erodieren bei einem alles beherrschenden Misstrauen.

Angst und Vertrauen: Emotionen der Wirtschaftlichkeit

Im, auf Wirtschaftlichkeit angelegten, Unternehmensalltag spielen Angst und Vertrauen eine große Rolle. Innere Kündigungen etwa, sich mehrende Krankschreibungen, ein inhärentes stetiges Gegeneinander – als Symptome von Angst und Misstrauen – beeinflussen Arbeitsleistung und Procederes nachhaltig negativ und damit auch den Unternehmenswert. Diese Botschaft dürfte heute selbst zu arg verstockten Unternehmensführungen durchgedrungen sein, mit einer noch herrschenden „command & control“- Unternehmenskultur.

 

Authentisch anders-Phänomene: eine Bewusstseinsreise

  1. Am Anfang war die Innovation, das Neue in die Welt bringen; Innovation, mehr noch kulturelle Innovation bedarf der Führung.
  2. Welche Führung adäquat ist, wie deutungsfähig Führen generell ist und wie Hierarchien im authentisch anders-Führen konnotiert werden, vertieft die Autorin in Teil 2 der Blogreihe.
  3. Neue Formen des Miteinanders, darunter ein reflektiertes Führungs- und Hierarchieverständnis: es sind alles Lernprozesse – bis hin zur lernenden Organisation, Teil 3.
  4. Lernen ist mehr als rein vernunftgesteuertes Mehren von Wissen, Lernen umfasst auch das Verstehen unserer Empfindungen. Die Klugheit unserer Gefühle betrachtet die Autorin in diesem Teil 4 der Reihe.
  5. Ob Ratio gefragt ist im Veränderungsgeschehen oder eher das Gefühl: Entscheidend ist immer der Austausch, die Kommunikation; Menschen begegnen sich wahrhaftig im Dialog, Teil 5.
  6. An jedem Punkt der Bewusstseinsreise zeigen sie sich: die Ambivalenzen und Widersprüchlichkeiten, die Merkmal unserer Existenz sind; der Dialektik unseres Seins. So kann Lernen Lust als auch Leid bedeuten; Führen stellt sich als eine komplexe Gemengelage von Anforderungen dar, die in sich widersprüchlich sein können und die Innovation ist immer gekoppelt an die Frage nach Erhaltenswertem: Teil 6 und zugleich Abschluss dieser Blogreihe.

 

 

Emotionen und Job: Was hat Glück dort zu suchen?

Nun hat sich seit ungefähr der Jahrtausendwende eine durchaus machtvolle Gegenbewegung regelrecht etabliert, die über den Wert des Vertrauens hinaus die tiefe Freude am Job, das Empfinden des Glücks über das, was wir beruflich tun, ins Spiel bringt. Eine Philosophie, die in der wechselhaften Historie des Begriffs Arbeit Vorläufer hat. Galt bei den alten Griechen Arbeit als etwas, welches den niederen Ständen vorbehalten war (die edleren Kasten philosophierten lieber und ertüchtigten den Leib) – und setzte sich die unerfreuliche Attribution im Mittelhochdeutschen im Verständnis von Arbeit als Mühsal und Frohn fort, so war es erstmals Leo Graf Tolstoi (1828 – 1910), der Beruf als Berufung sah. Unterbrochen dann von einer mechanistischen Arbeitsdeutung im Zuge der Industrialisierung, griffen dessen Apologeten den Berufungs- und damit Glückbegriff um die Jahrtausendwende wieder auf. Holm Friebe und Sascha Lobo betitelten ihr, 2006 erstmalig aufgelegtes, Buch der digitalen Freiberuflichkeit „Wir nennen es Arbeit“. Der global bekannte Philosoph und geistiger Urvater der New Work-Bewegung Fridtjof Bergmann (*1930) sprach von einem „Beseeltsein“, davon, „was ein Mensch wirklich, wirklich gerne tut“ – und der Psychologe Mihály Csíkszentmihályi (*1934) vom Flow, wenn Arbeit uns in einen Strom der Glückseligkeit katapultiert.

 

„Don’t worry, be happy“ ?

 

Glücksdiktatur: Vom Tanz ums Goldene Kalb der positiven Emotionen

Es ist wunderbar, wenn das, was ein Mensch tut ihn wirklich glücklich macht; wenn es ihm sogar eine wirtschaftliche Existenzgrundlage verschafft. Problematisch wird die Verknüpfung von Glück und Business, wenn das Verheißungsvolle zum Diktat zu gerinnen droht. Bereits 1988 zeigten sich Vorboten des Glücksdiktats in musikalischer Gestalt; das Lied des US-amerikanischen Sänger Bobby McFerrin, „Don’t worry, be happy“, rasch zu globalem Ruhm gelangt, wirkt direkt auf unsere Gemütsrezeptoren im Gehirn. Inhaltlich durchdrungen birgt es eine Einseitigkeit des Empfindens (von McFerrin so gewiss nicht intendiert), die in eine Eintönigkeit mündet, der genau das abgeht, was erst Spannung und damit Leben erzeugt: die Synkopen im SEIN: Wie soll ich Glück noch identifizieren, wenn es den Widerpart des Un-Glücks, der Abwesenheit von Glück, nicht gäbe?

Der Trend, allem immer die positive Seite abgewinnen zu wollen, wob sich ins gesellschaftliche Miteinander ein und dann intensiv auch in Wirtschaftskontexte. „Du schaffst das, wenn Du nur willst“ gehört in diesen Reigen, mit einer Implikation, dass derjenige, der individuellen Erfolgs- und Glückserwartungen nicht gerecht wird, eben selbst schuld ist – und damit verbunden einer Leugnung sozialer Kontexte (aber das ist eine Thematik, die einer gesonderten Betrachtung bedarf). Der Kultursoziologe Andreas Reckwitz hat es in seinem Buch „Das Ende der Illusionen“ wunderbar pointiert: In unserer Spätmoderne „tanzen wir alle um das Goldene Kalb der positiven Emotionen““. Der Organisationspsychologe Peter Kruse (1955 – 2015) übertrug das Glücksphänomen auf unternehmerische Veränderungsprozesse: „“Wir jubeln alle über den Erfolg des Erreichten, den Schmerz des Übergangs verschweigen wir“

 

„Vernunft ist ein ruhiges Geschäft“

John Maynard Keynes

 

Emotionen first? Ein Gefühl haben oder ein Gefühl sein

Was folgern wir daraus für Emotionen im Unternehmen und im Management? So wie über lange Zeit, bis ins Heute hinein, Emotionen speziell im Wirtschaftskontext als gefühlsselig belächelt wurden, als der harten, vermeintlich so rationalen Wirtschaftswelt nicht angemessen, so ist das Gegenteil nicht minder gefährlich. Emotionen ohne Einordnung, ohne Abwägung, ohne Vorsicht und Betrachten des Gesamtbildes – Emotionen also ungefiltert als Maßstab gesetzt, können Verzerrung, Einseitigkeit, Polarisierung und Spaltung provozieren. Wie es der demnächst scheidende US-Präsident Trump – in diesem Fall mit einer verderblich-furiosen Könnerschaft – bewiesen hat. Damit sind wir bei einer, der Psychologie entstammenden,-Differenzierung, welche den Bogen zum Hegelschen Diktum spannt: Ein Gefühl zu haben oder ein Gefühl zu sein. Bei einer absoluten Identifikation mit meinem Gefühl liefere ich mich selbigem aus, mache mich zum Spielball meiner Emotionen, „ertrinke“ schlimmstenfalls im Strudel der Emotionen. Setze ich indes das Empfinden in Relation zu mir, lasse es zu und betrachte es zugleich in seiner Passung zu dem, was geschieht, gehe also klug mit meinen Emotionen um – so schaffe ich einen Ausgleich, stelle die Balance her.

Vielversprechende Allianz: Emotionen im Verbund mit Vernunft

„Vernunft ist ein ruhiges Geschäft“ sagte der britische Ökonom John Maynard Keynes (1883 – 1946). Vernunft ist es, in welcher der Gedanke des Humanismus wurzelt, das Streben nach Menschlichkeit im Miteinander, das Bewusstsein dessen, was wir denken und tun, die Geisteshaltung der Würde des Menschen, jedes Einzelnen, ungeachtet von Positionen im Unternehmen. Dann erfährt die Angst – besonders in Veränderungsprozessen – eine Würdigung als Signal, kann wahres Vertrauen gedeihen und wie ist es mit dem Glück? In der Allianz mit der ruhigen Vernunft gewinnt Glück seine Besonderheit zurück: Als flüchtiges Moment, als Helligkeit und Wärmespendender Lichtstrahl, etwa im Flow einer besonders schaffensfreudigen Phase oder in der aufleuchtenden Freude über etwas Erreichtes. Ohne indes zum farblosen – und damit das wirkliche Glück vernichtenden – Einheitsbrei des „was sind wir alle immer glücklich hier“ zu gerinnen.

 

Beitragsbild: Bild von Mammiya auf Pixabay, Bildmontage und Graphik im Text: Michael Wolf, Mitgründer von authentisch-anders und Inhaber des Büros für Aisthetik und Kommunikation

 

Teil 1 der Reihe: Innovation

Teil 2 der Reihe: Führung

Teil 3 der Reihe: Lernen

Teil 5 der Reihe: Dialog

Teil 6 der Reihe: Ambivalenz

 

Katharina Daniels: Kommunikationsberaterin und Publizistin

Über die Autorin
Die Autorin ist Inhaberin von „Daniels Kommunikation“ (Sprache macht den Menschen aus) und Mitgründerin der Verbundinitiative „authentisch-anders: Für eine wache Kultur in Unternehmen und Gesellschaft„. Unter dem Leitgedanken der kulturellen Innovation begleiten die authentisch-anders Mentoren, mit jeweils individueller Expertise und Perspektive, Unternehmen als Sparringspartner, Inspirations- und Feedbackgeber. Damit innovationsbereite Unternehmen mit einer zukunftsweisenden Kultur Impulse in die Gesellschaft senden. Mit einer Kultur, die Mitarbeiterautonomie, Selbst-Verantwortung und Sinnhaftigkeit verbindet. In der CSR, New Work und agiles Management mehr als Worthülsen sind. So setzen Sie als Unternehmen Akzente authentisch anders – bei Ihren Stakeholdern und in Ihr gesellschaftliches Umfeld hinein!