Sprache lebt! Die Integration fremdsprachlicher Ausdrücke oder auch Hybride aus Fremd- und Muttersprache sind etwas natürlich Gewachsenes. Aber: Wenn sich die Unklarheiten mehren, was wirklich gemeint ist – dann gilt es zu überdenken, welche Sprachentwicklungen sinnvoll sind und welche lediglich der Wichtigtuerei dienen. Der inflationäre Gebrauch von Codewörtern wie New Work, Purpose und Agilität, mit denen ganze Branchen sich heute gern schmücken, verschleiert oft eher deren wahren Kern und schafft mehr Verwirrung denn wahre Identifikation. Speziell im Kontext des miteinander Arbeitens ist ein übereinstimmendes Verständnis, wovon hier gesprochen wird, essentiell. In Teil 2 untersuchen wir die drei beherrschenden Begriffshypes New Work, Purpose, Agilität.

 

New Work: Kickertisch, Gefühlsduselei oder Denkprozess?

Allzu oft wird New Work gleichgesetzt mit möglichem Homeoffice, sog. flachen Hierarchien, der Integration pseudofreizeitlicher Gestaltung ins Unternehmen sowie einem allgemeinen Wohlfühlfaktor im harten Arbeitsalltag. Grundsätzlich alles nicht schlecht, aber: Derart erfährt der ursprüngliche Gedanke Frithjof Bergmanns eine ungewollte Verflachung, Verdrehung bis zur Pervertierung. Der Philosoph Bergmann unterteilte Arbeit in klassische Erwerbsarbeit, Selbstversorgermodelle und in das, was der Mensch „wirklich, wirklich gerne tut“. Also ein Gefühlsding? Weit gefehlt: Es geht um einen tiefgehenden Bewusstseinsprozess.

Vom „was ich wirklich, wirklich will“ zum New Work

Entstanden ist das New-Work Modell Ende der 70, Anfang der 80er Jahre vorigen Jahrhunderts, als in den USA die Industrie zu erodieren begann, sehr viele Menschen auf Kurzarbeit und damit lange Freisetzungsphasen gesetzt wurden. Was aber tun während der Freisetzung? Wie diese Zeit sinnvoll füllen, um nicht vor sich hinzuvegetieren oder die Zeit mit Belanglosem zu füllen? Dafür mag das eine Leben, das uns zugestanden ist, denn doch zu kostbar sein. Aus diesem Impetus gründete Bergmann damals sein Zentrum für Neue Arbeit, um mit Menschen in den Findungsprozess für sinnerfülltes Tun zu gehen: Warum tue ich das, was ich tue? Wie dient es mir und meinem Umfeld? Setze ich mich mit meinem Tun in Resonanz zu anderen, zu etwas Erkundungswürdigen? Bin ich bereit, meiner Erkenntnis auch bei heftigem Gegenwind zu folgen? Letzteres erlebte Bergmann damals selbst seitens der akademischen Welt: Was soll das, was Du das vorhast mit Deinem Institut, bleib‘ doch lieber in der traditionellen Forschung und Lehre, da weißt Du, was Du hast.

 

 

 

Purpose im New Work: Sinn und / oder Zweck?

Der Begriff „New Work“ ist eng verbandelt mit dem heute gleichfalls vielzitierten „Purpose“; auch dies ein schillernder, irrlichtender Begriff. Vom Programm schlicht übersetzt mit „Zweck“, im Deutschsprachigen aber als „Sinn“ bzw. Sinnfrage gedeutet. Womit wir bereits bei einer grundlegenden Unschärfe sind: Sind Sinn und Zweck identisch? Ist der Zweck eine Subkategorie von Sinn oder stehen beide in Wechselwirkung? Bleiben wir bei der unmittelbaren Übersetzung in „Zweck“, so ist die kritische Frage berechtigt, ob ein Unternehmen, das seinen Zweck erst suchen muss (wir sind in diesem Marktumfeld aktiv, weil…), seine Existenzberechtigung womöglich verfehlt hat?! Einigen wir uns also darauf, dass der „Zweck“ die Beziehung des Unternehmens zum Außen adressiert! Mit dem Sinn verhält es sich ein wenig anders. So wie ein Mensch zeitlebens nach dem Sinn seines Lebens suchen mag, so erschließt sich auch dem Unternehmen der Sinn nicht per se aus Marktanalyse und Geschäftsmodell. Sinn ist ein Bewusstseinsprozess, keine Managementmode oder Managementmethode und er kann schon gar nicht vom Vorstand verordnet werden, etwa in einem Leitbild.

Purpose analytisch betrachtet

In ihrem Buch „purpose driven organizations“ rekurrieren die Autoren auf den Sinn als gewissermaßen psycho-mental-analytischen Prozess, in drei Perspektiven:

  • Die individuelle Perspektive: Empfinde ich meine Arbeit als sinnvoll?
  • Die vernunftbasierte und für Prämissen taugliche Perspektive lautet: Wir haben für unser Unternehmen diese Aufbau- und Ablauforganisation, inklusive der zugehörigen Funktionen und Positionen, so gewählt, weil wir dies aus den Gründen xyz für sinnvoll befinden. Danach handeln wir.
  • Die nicht Prämissen zuordenbare Perspektive richtet sich auf die informelle Kultur des Miteinanders, etwa: Bei uns herrscht eine Atmosphäre des Leistungsdrucks- oder: Bei uns dominiert das Gemeinschaftsgefühl – oder: Bei uns soll alles beim Alten bleiben….oder auch: Das Organigramm ist kompletter Unsinn, in Wirklichkeit haben ganz Andere hier das Sagen…

New Work und Purpose als Bewusstseinsreise

Allen Perspektiven wohnt immer eine Betrachtung über individuelle Zeitläufte inne, im Verständnis: Nur wenn ich vergegenwärtigt habe, woher ich bzw. mein Unternehmen komme, kann ich die Gegenwart verstehen und daraus ein für mich passendes Zukunftsmodell entwickeln; ein Reflexionsverständnis, das meinen persönlichen Werdegang als Kommunikationsmentorin als auch unsere Herangehensweise im Rahmen unserer Verbundinitiative „authentisch-anders“ kennzeichnet..

  • Retrospektive (Warum ist etwas so entstanden),
  • Gegenwart (Deshalb machen wir das heute so) und
  • Zukunft: Muss das immer so bleiben? Könnten wir es anders gestalten wollen – und wieso? Mit welcher Perspektive?

Auch in der Sinnsuche sind die Dimensionen des nach innen und nach außen Schauens untrennbar miteinander verwoben. Ein sinnhaftes Tun eines Unternehmens kann auch in sozial- und umweltbewusstem Produzieren bestehen, in hoher Transparenz und Fairness gegenüber der Lieferkette oder darin, diesbezüglich Endkunden keine Schimären vorzugaukeln. Ein Unternehmen indes, welches im Innenleben intransparent, autokratisch und im mechanistischen Führungsduktus agiert, gewinnt durch plakative Guttaten nach außen keine Glaubwürdigkeit. Dies gilt umgekehrt genauso: Eine vorbildhaft erscheinende Unternehmenskultur, etwa durch sog. agiles Führen, zeigt Risse, wenn das Unternehmen ganze Abteilungen auslagert, um diese über Drittfirmen im In- oder Ausland preisgünstiger einzukaufen. Es ist wie in einem Mobilé: Jedes Denken, jedes Tun bewirkt eine Bewegung auch im anderen Feld. „Sinn ist Beziehung“, sagt mein authentisch-anders Mitstreiter Michael Wolf, „wie will ich leben, in Beziehung zu mir und zu meinem Umfeld? Es geht immer um Resonanz!“.

New Work-Agilität gleich Scrum & Co?

Um Resonanz geht es auch im agil sein. Begriffshistorisch der Antike entstammend, im Wirtschaftskontext aber dem anglo-amerikanischen Raum entlehnt, steht agil sein für Wendigkeit, Flexibilität, rasches Reagieren. Bereits hier tun sich erste Missverständnisse auf. Zunehmend nehmen auch sonst eher konservativ „gestrickte“ Unternehmen für sich in Anspruch, agil zu sein bzw. zu handeln, zumindest in Teilbereichen. Wie kommt es dazu? Weil ein spezifisches Projekt abteilungsübergreifend mit einer agilen Methode wie etwa Scrum bearbeitet wird, um sich den Wünschen des Kunden so flexibel wie möglich anzupassen. Unbestritten sind die, fast ausschließlich der IT entstammenden, Methoden agilen Arbeitens gut geeignet, Kundenvorstellung und Produktion in hohem Maße passgenau zu gestalten. Aber eine Methode bleibt blutleer, ja sie stirbt ab, wenn sie nicht mit einem Bewusstsein des „Warum arbeite ich jetzt so?“ verknüpft ist, mit einer bejahenden Einstellung zu siloüberspannendem Gedankenaustausch, Transparenz und zu einer Abkehr von Geheimnistuerei und Machtwissen. Solch‘ eine geistige Transformation dringt bis ins innerste Gewebe eines Unternehmens. Mit einem Solitärprojekt wirft das Unternehmen, bestenfalls für die Zeitspanne von dessen Realisierung, zwar das Bild einer agilen Organisation an die Wand. Ist das Projekt beendet, erlischt die Projektion.

Gefahren einer missverstandenen Agilität

Agilität in diesem umfassenden, tiefgreifenden Verständnis ist also auch mit dem als Sinn verstandenen Purpose verknüpft. Und hier schimmert sogleich die Gefahr durch, welche eine Gleichsetzung von Sinn und Zweck bedeutet. Dient Agilität lediglich dem Zweck, überkommene Strukturen und Prozesse durch den Einsatz agiler Arbeitsmethoden rascher abzuarbeiten und damit schneller, flexibler zu sein als die Konkurrenz – dann ist Agilität ein Rückschritt, kein Fortschritt. Dann laufen wir im Wirtschafts- und Unternehmenskontext sogar Gefahr, uns auf leisen Pfoten einem Taylorismus im neuen Gewande anzuverwandeln.

Süddeutsche Zeitung zu Scrum, Kanban & Co: Wird mit bunten Zetteln alles besser?

 

Bild von PublicDomainPictures auf Pixabay

 

Teil 1 der Reihe „Sprache im Fokus“: Sie kollaborieren proaktiv? Wie spannend

Teil 3 der Reihe: „Sprache im Fokus“: Entlarvende Phrasen

Teil 4 der Reihe „Sprache im Fokus: „Englisch-Deutsch: Wie wir Sinn entstellen

 

 

Katharina Daniels: Kommunikationsberaterin und Publizistin

Über die Autorin
Die Autorin ist Inhaberin von „Daniels Kommunikation“ (Sprache macht den Menschen aus) und Mitgründerin der Verbundinitiative „authentisch-anders: Für eine wache Kultur in Unternehmen und Gesellschaft„. Unter dem Leitgedanken der kulturellen Innovation begleiten die authentisch-anders Mentoren, mit jeweils individueller Expertise und Perspektive, Unternehmen als Sparringspartner, Inspirations- und Feedbackgeber. Damit innovationsbereite Unternehmen mit einer zukunftsweisenden Kultur Impulse in die Gesellschaft senden. Mit einer Kultur, die Mitarbeiterautonomie, Selbst-Verantwortung und Sinnhaftigkeit verbindet. In der CSR, New Work und agiles Management mehr als Worthülsen sind. So setzen Sie als Unternehmen Akzente authentisch anders – bei Ihren Stakeholdern und in Ihr gesellschaftliches Umfeld hinein!