Gerade noch der Hype; morgen schon wieder Schnee von gestern? In der IT-Branche zeichnet sich die Flüchtigkeit neuer und gleich schon wieder veralteter Entwicklungen besonders deutlich ab. War gerade noch diese App. angesagt, so hat der Trendbewusste bereits das neueste Modell vorgemerkt. Was sich, an sich selbst überholenden, Entwicklungen in der Individualsphäre der Wirtschaft zeigt, gilt nicht minder, eher verstärkt für Unternehmen.

Mental-strategische „Aufrüstung“ bei Unternehmen

Ob im Digitalsektor, durch ökologische oder Globalisierungsherausforderungen: Der Veränderungsdruck von außen ist gewaltig, verwoben mit einer zunehmend unüberschaubaren (Wirtschafts-)Welt. Die Begrifflichkeit „VUCA“ ist zum inhärenten Merkmal eines jeden Geschäftsmodells geworden. VUCA (VUKA) steht für Volatility (Volatilität, Flüchtigkeit), Uncertainty (Unsicherheit), Complexity (Komplexität) und Ambiguity (Ambiguität, Vieldeutigkeit). Das Akronym kommt, wie interessanterweise etliche, heute als hochinnovativ gehandelte, Denkansätze und Methoden aus dem US-amerikanischen Militär. Im Gedankengut der militärisch-akademischen Ideenschmiede galt es, hochkomplexen Gegebenheiten im Krieg und in Feindesland mental gut gerüstet zu begegnen, auch Unvorhersehbares in Denk- und Handlungsszenarien zu antizipieren.

Der Lebenssaft für agile Tools und Methoden

Für Unternehmen bedeutet das: Es braucht einen grundlegenden Bewusstseinsprozess zur Positionierung, zu Visionen und Zielen, die zum Unternehmen passen und zugleich zukunftsfähig sind. Das ist wahrlich ein Spagat! Methoden und Tools wie Scrum, Kanban und Design Thinking, Ingredienzien des sog. agilen Managements, sind eine (erste!) Antwort auf eine hochkomplexe Wirtschaftswelt. Ohne das Bewusstsein, warum Mitarbeiter jetzt auf einmal mit diesen Methoden arbeiten (sollen), ohne das entsprechende Mindset, aber bleiben die Methoden blutleer, rein verhaltensgesteuert.

Sie können einen Weg ebnen zu einem grundlegenden Verstehen, warum auf einmal Hierarchie- und Abteilungsgrenzen überschritten werden. Ein solches Miteinander am Arbeitsplatz zu internalisieren, bedingt weit umfassender ein Überdenken von Aufbau- und Ablauforganisation, von Führung und Führungsverständnis, von ungeschriebenen Gesetzen (wer sind bspw. die heimlichen Machthaber?) und schlussendlich ein tiefes kognitiv-emotionales Durchdringen der Unternehmenskultur. Es geht hier um nicht weniger als um kulturelle Innovation!

Vom Wert des Gestaltungswillens in Umbruchszeiten

Gemütslagen, Werte, Situationseinschätzungen spielen – heute mehr denn je –gerade im Unternehmenskontext eine große Rolle. Auch wenn Wirtschaft sich gern nüchtern und rational gibt, den KPI zum Maßstab erhebt, so ist es doch der Wille, etwas zu gestalten (bspw. ein erfolgreiches Unternehmen), der unserem gesamten Tun und unserer Entwicklung zugrunde liegt. Dieser Gestaltungswille ist das Menschliche im Unternehmen.

Noch so hochentwickelte Software ist hier für kein Surrogat. Digitale Systeme unterstützen in Erfassung, Kombination und Auswertung von Daten (Wahrscheinlichkeitsrechnung), in einer Schnelligkeit und Quantität, die dem menschlichen Gehirn hier weit überlegen ist. Rechnersysteme aber haben keine Phantasie, sie fällen keine Entscheidungen, sie haben kein kulturelles Gedächtnis, aus dem Menschen (und Unternehmen) ihre Identität beziehen.

Cynefin: Komplexität bedarf menschlicher Phantasie

Was heißt das alles für den Charakter zukunftsfähiger Unternehmen? Es wird auch weiterhin etliche Entscheidungsprozesse geben, die weder innovativer Methoden noch grundlegender Restrukturierungen bedürfen. Auf den walisischen Wissenschaftler Dave Snowden geht das Cynefin-Modell zurück:

  • Einfache Situationen kommen mit einfachen Bewältigungsszenarien aus: die Aufgabe des Pförtners im Empfangshäuschen ist klar definiert.
  • Komplizierte Situationen sind oft gekennzeichnet durch widersprüchliche Interessenlagen; hier kann bspw. eine Mediation wertvolle Dienste leisten.
  • Die zukunftsweisende Herausforderung zeigt sich in komplexen Aufgabenstellungen, bei denen multiple Faktoren einwirken: VUCA eben. Hier sind Einfallsreichtum, überraschende Ideen, auch Widerborstiges, Widerständisches erforderlich, aus dem sich etwas Neues formen kann.

Kulturelle Innovation durch Bewusstwerdung

Im Korsett der rein linearen Befehlskette, wiederum eingebettet in zur Gewohnheit geronnenen, vermeintlich unumstößlichen Strukturen, sterben innovative, auch disruptive Strömungen einen raschen Tod. Eine wahrhaft kulturelle Innovation kann sich im behutsamen Umbau bzw. Umwandlungsprozess ausdrücken. Hin zu einer lernenden, sich ihrer selbst bewussten Organisation. Hin zu rahmengebenden Strukturen, die eine fundamentale Eigenverantwortung jedes einzelnen Mitarbeiters für seinen Fachbereich anerkennen. Mit Entscheidungsbefugnissen, die nicht unvermittelt wieder „von oben“ torpediert werden. Hieraus erwächst eine hohe Situationsflexibilität, Entscheidungen fallen rasch.

Was wiederum diese Entwicklung für das damit einhergehende, erforderliche Verantwortungsbewusstsein jedes Einzelnen im Unternehmen bedeutet, für die Fehlerkultur als auch für Abstimmungserfordernisse bei komplexen Gemengelagen ist Thema des nächsten Beitrags in der Chamäleon-Reihe.

Foto von Philipp Birmes von Pexels

Teil 1 der Reihe: Rugby fürs Büro
Teil 2 der Reihe: Alles fließet
Teil 4 der Reihe: Die LO – Schneller sein

Aktuelle Publikation der Autorin: „Elektromobile Arbeitswelt: Agilität in Methoden und innerer Haltung“ im Kompendium „Systemwissen zur E-Mobilität“

Die Autorin ist Gründerin der Verbundinitiative authentisch anders, die sich der grundlegenden Frage stellt: Wie kann eine menschenwürdige Gesellschaft gelingen und welche Impulsfunktion kommt dabei Unternehmen und Organisationen zu?