Wie lange währt der Hype jetzt schon? Mit dem Chatbot Generative-Pre-trained-Transformer, auf Deutsch: Generierender vortrainierter Transformer? Mit dem wir, die menschliche Spezies, in den Dialog gehen können, den Chatbot alles fragen können, was uns irgendwie einfällt – von privaten Anliegen bis hin zu beruflichen. Wie befriedigend die Antworten dann ausfallen, das wollen wir hier ein wenig vertiefen.

Berufliche Perspektive: Verblüffende Quantität und Schnelligkeit

Neulich: Zoom mit einer Netzwerkkollegin; wir wollten einen Slogan kreieren, in dem das Wort „Top“ vorkommt und suchten dafür peppig-witzige Ergänzungen, mit etwas, was sich auf „Top“, reimt. Unsere Frage an ChatGPT: „Entwirf uns bitte ein paar Slogans mit dem Begriff „Top“, für unsere Zielgruppe xyz, sowie einem Wort, das sich auf „Top“ reimt“.

Immer wieder verblüffend, wie nach wenigen Sekunden fast ein ganzer Screen mit Antworten gefüllt ist. Gut, keine dieser Ideen fanden wir überzeugend genug, um sie für einen Slogan 1:1 einsetzen zu können, aber: Der Chatbot inspirierte uns mit seinen Kombinationen.  Fürs menschliche Vorstellungsvermögen ist es nicht mehr fassbar, auf welche Unmengen von Daten der Algorithmus zugreift, diese in kürzester Zeit im hochgetunten Wahrscheinlichkeitsprinzip scannt und zu durchaus einleuchtenden Antworten konfiguriert.

Workshopkonzept: Hilfreiches Grundgerüst

Zweiter Versuch mit einem anderen Netzwerkkollegen: „Entwirf uns bitte ein Workshop-Konzept für Zielgruppe XYZ mit einem bestimmten Bedürfnis xyz, das nicht erfüllt wird“. Auch hier: In Sekunden ein durchaus präsentables Konzept. Nun gut, jetzt nicht wahnsinnig originell, der klassische Aufbau eines Workshops halt– aber sehr gut geeignet, um damit weiterarbeiten zu können.

Zumindest hätten der Kollege und ich bereits für die Grundstruktur des Workshops wesentlich länger gebraucht. Kommt hinzu: Durch jede neue Frage, die ein menschlicher Dialogpartner stellt, „lernt“ das System dazu, integriert die Variation in sein Datenportfolio. Ja, und damit sind wir sind wir schon beim Handlungsfeld doch eher privater Fragestellungen: Wie hilfreich ist der digitale Gesprächspartner hier?

Privat betrachtet: Welche Werte transportiert ChatGPT?

Anwar Sahi, Systementwickler und Elektroinstallateur, Jahrgang 1966, in Pakistan geboren, in Deutschland aufgewachsen, bringt einen Blickwinkel ein, den ich so in den Diskursen rund um die Künstliche Intelligenz noch nicht gehört habe. Anwar erzählt mir eine kleine Geschichte: „Stell‘ Dir vor, Du lebst in Pakistan, oder überhaupt in einem Land nicht westlicher Kultur, und Du fragst ChatGPT, was Du nun mit Deinen Eltern machen sollst, die jetzt alt sind, sich dem Alleinleben nicht mehr gewachsen fühlen. Was meinst Du, was der Chatbot Dir antwortet?“. Tja, ich gebe zu, ich bin ratlos, keine Ahnung!

Anwar hat es probiert. Chat GPT rät, für die Eltern die beste Betreuung zu organisieren, beispielsweise in einer Seniorenresidenz. Oder alles daranzusetzen, dass die Eltern so lange wie möglich in den eigenen vier Wänden selbständig leben können. Etwa mit Unterstützung von Pflegediensten und einer finanziellen Beteiligung über die Pflegeversicherung.

Was aber, wenn der Frager oder die Fragerin in einem Kulturkreis lebt, in dem solche Dienste praktisch unbekannt sind? In dem es kaum soziale Systeme gibt, wie etwa hierzulande kommunale Altenheime? In dem es auch keine Unterstützung durch ein Rentensystem gibt? Würden sich Sohn oder Tochter, oder die Enkelgeneration an die westliche geprägte Lebensvorstellung halten, wären die alten Menschen alleingelassen, isoliert.

Kollektiv- versus Individualkulturen

Im Verständnis von Kollektivkulturen herrscht auch heute noch eine gänzlich andere Vorstellung familiären Zusammenhalts als in den Ländern des Westens und des Nordens. Kinder und Nachkommen gelten immer noch als Rückversicherung für ein Alter in Geborgenheit, dass die jüngere Generation sich um die ältere kümmert. Dass es als natürlich gilt, dass Großeltern, Eltern, Enkel zusammenleben – eine klassische Familienkonstellation, wie sie in Europa noch in ländlich geprägten Regionen bis Anfang des vorigen Jahrhunderts existierte. Heute hat sie eher historischen Charakter.

ChatGPT indes ist mit westlichen Werten „gefüttert“, mit den Normen und Standards einer individualisierten Gesellschaftskultur, in der die Eigenverantwortung einen hohen Stellenwert genießt. Ein System wie ChatGPT, sagt Anwar, setzt einen Kulturwandel auch in Ländern nicht-westlicher Sozialisation voraus, der dort noch längst nicht angekommen ist. Eine solche Realitätsdarstellung, die sich mit der Realität in diesen Ländern nicht deckt, kann zerstörerisch wirken, gesellschaftlich und kulturell; kann fatalerweise sogar ein Empfinden der Scham bei Kollektivkulturen provozieren, dass sie noch nicht „soweit“ seien.

Und nochmals weitergedacht: ist es überhaupt wünschenswert, dass unsere westliche Perspektive auf höchste Eigenständigkeit, damit aber rasch auch Vereinzelung, die kollektivistischen Werte des Zusammenhalts überrennt, niederwalzt?

Kollektivistische Sehnsucht durch die „Hintertür“

Hier zeigt sich eine kleine Pointe in Gestalt einer Werterenaissance: In unserem individualistisch geprägten Kulturkreis wächst seit etwa Mitte des vorigen Jahrhunderts erneut eine Sehnsucht nach Zusammenhalt, etwa in Gestalt von sogenannten Alten-Wohngemeinschaften. Im Sinne eines Miteinanders verschiedener Altersgruppen, mit wechselseitiger Verantwortung, gewinnen Mehrgenerationenhäuser immer mehr ans Beliebtheit.

Bild von Alexandra_Koch auf Pixabay

Autorin: Katharina Daniels, Kommunikationsmentorin, www.daniels-kommunikation.de, www.authentisch-anders.org, Profil LinkedIn, Profil „Daniels, Flockenhaus & Partner