Es ist der Hypebegriff per se, langsam gerät er fast schon zum Buzzword: Digitalisierung. Dabei gerät die Komplexität dieser Entwicklung des Öfteren aus dem Blick: In Teil IV stehen diese Fragen im Fokus: In welcher Beziehung stehen Digitalisierung und Ethik, welche Rolle spielt die Künstliche Intelligenz und was bedeutet das alles für unsere Arbeitswelt?

Wie rassistisch ist Künstliche Intelligenz?

Zutiefst menschlich ist die Neigung, Informationen und Daten in einen Wertekontext zu stellen. Jedes noch so ausgefeilte selbstlernende System arbeitet mit Daten, die vom Menschen auf Basis spezifischer Wertebilder ausgewählt wurden, respektive von Daten, die sich das Rechnersystem aus dem Netz holt. Da kann das Pendel durchaus in die negative Richtung ausschlagen: So konnte die Princeton-Informatikerin Aylin Caliskan in einer 2017 veröffentlichten Studie nachweisen , dass künstlich intelligente Systeme Rassismus und Sexismus reproduzieren. In maschinell ausgewerteten Bewerbungen für technische Berufe konnten Männer punkten, weil sie in die Nähe von Ingenieuren und Wissenschaftlern gerückt wurden, Frauen hatten das Nachsehen, da ihnen eine vorrangige Affinität zu Flora (Blumen), caritativen Berufen (Krankenschwester) und Familie generell attestiert wurde. Sein Wissen bezog der in der Caliskan-Studie überprüfte digitale Recruiter vornehmlich aus dem Internet – und in diesem Universum an Informationen nehmen klassische Frauenbilder offenkundig immer noch großen Raum ein.

Vergleichbares, respektive werteadaptierendes Aussortieren, auch im Bankengewerbe: Ob beispielsweise ein Kunde vom Rechnersystem seiner Hausbank für kreditwürdig gehalten wird, ist eine Schlussfolgerung aus einem Koordinatensystem von Daten, das auf Basis eines bestimmten Menschen- und Gesellschaftsbildes entstanden ist. Das künstliche neuronale Netz „urteilt“ nach erlernten Vergabeentscheidungen von Bankern. Faktoren wie Alter, Geschlecht, sozialer Status sind immer Spiegel eines subjektiven Wertekanons. In den USA etwa gelten Afroamerikaner oft als nicht kreditwürdig.

„Wir müssen Digitalisierung entmystifizieren“

Die Wirtschaftsprofessorin Sarah Spiekermann, Herausgeberin des jüngst erschienenen Buches „Digitale Ethik – Ein Wertesystem für das 21. Jahrhundert“ weist nochmals eindrücklich daraufhin, dass „Daten immer Artefakten des Gewesenen sind, sie denken nicht in die Zukunft“. Spiekermann warnt weiter: „Daten sind heute schon in Unternehmen das größte Problem, weil sie wertegeladen und fehleranfällig sind“. Das fast schon religiös-sektiererisch anmutende (wie der Tanz ums goldene Kalb) Betonen der „Künstlichen Intelligenz“, die in nicht ferner Zukunft dem Menschen womöglich schon überlegen sei, macht Spiekermann als sehr geschicktes „Storytelling der IT-Industrie“ aus. Diese Industrie, so Spiekermann, suggeriere aus rein ökonomischem Interesse, dass Algorithmen besser über menschliche Schicksale entscheiden könnten als Menschen. „Wenn man dieser Agenda glaubt“ warnt die Wirtschaftsprofesorin, „liefert man Menschen aus“. Ihre Schlussfolgerung: „Wir müssen Digitalisierung entmystifizieren“.

Kollege Computer: Diener, Partner, Konkurrent?

Was bedeutet das für eine sich zunehmend wandelnde, digitalisierte Arbeitswelt? Wie gestaltet sich das Miteinander von „Mensch und Maschine“ resp. digitalem System? Ist es eine Konstellation Herr und Diener? Konkurrenten? Partner? Um hier zu einem tiefergehenden Verständnis zu kommen, greift die Begrifflichkeit der Digitalisierung zu kurz. Analysten verstehen Digitalisierung als die Möglichkeit, Menschen, Gegenstände und Geräte resp. Anlagen ( Cyber Physical Systems CPS)) nahezu sofort und nahtlos miteinander zu verbinden, schon 2025 werden schätzungsweise 20 Milliarden Geräte miteinander verbunden sein, dreimal mehr als es Menschen gibt. Unternehmen definieren Digitalisierung als Upgrade der IT, mit allen sich daraus ergebenden Möglichkeiten im B-2-B und B-2-C-Bereich.

Was diese Entwicklung an Veränderungen auslöst in der Gesellschaft, sei es im privaten Umfeld, in der Wirtschaft sowie in einer immer engeren Vernetzung von Wirtschaft und individueller Lebensgestaltung – das ist eine Transformation in der Menschheitsgeschichte. Die digitale Transformation steht in historischer Gefolgschaft zur Industrialisierung. Auch damals herrschte eine existentielle Angst vor einem massiven Abbau an Arbeitsplätzen; erboste Textilarbeiter zerstörten im Zuge der Industrialisierung zwischen 1811 und 1814 die neuen Webstühle. Ihre Protestaufrufe unterzeichneten sie mit dem Pseudonym eines fiktiven Anführers namens „Captain“ oder auch „General Ludd“, was der Protestbewegung die Bezeichnung „Ludditen“ bzw. Luddismus bescherte.

Digitalisierung: Dystopie oder Utopie für die Arbeitswelt?

 „Maschinenstürmerei“ dürfte heutigen Tages kaum mehr das Mittel der Wahl sein. Zumal die Prognosen, ob und wie viele Arbeitsplätze durch den wachsenden Einsatz elektronischer Systeme gefährdet sind oder verschwinden werden, divers bis widersprüchlich sind. Sagt der IT-Verband Bitcom die Vernichtung von mehr als drei Millionen Jobs voraus, sprechen verschiedene Studien von einem Verlust von fast 40 Prozent aller Arbeitsplätze netto (also unter Anrechnung neu entstehender Jobs). – so kommt das Zentrum für Europäische Wirtschaftsförderung zum gegenteiligen Ergebnis: Computer schaffen mehr Jobs als sie vernichten (Quelle: Jager Richard „Technologisierung macht Jobs menschlicher“ in: Randstadt Deutschland (Hrsg.) „Wie wir in Zukunft arbeiten“ (Whitepaper)).

Es wird bei dieser Gemengelage oft widersprüchlicher Einschätzungen und Prognosen weniger um die quantitative, mehr um die qualitative Betrachtung gehen: Wie wird der Mensch in Zukunft arbeiten? Welche Schwerpunkte gilt es zu setzen? Bereits heute ist der Mensch in seiner Lernfähigkeit gefordert, digitale Tools und agiles Projektmanagement zu beherrschen, viel wichtiger aber: Es geht um eine Neubewertung menschlicher Fähigkeiten in der Arbeit. Wie gestalten wir aus der digitalen Transformation eine Chance für unser Selbstverständnis und unser soziales Miteinander?

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay 

Teil 1 der Reihe: Neues Arbeiten, Leben, Lernen
Teil 2 der Reihe: Eine Gesellschaft im Umbruch
Teil 3 der Reihe: Ist KI intelligent?

Aktuelle Publikation der Autorin: „Elektromobile Arbeitswelt: Agilität in Methoden und innerer Haltung“ im Kompendium „Systemwissen zur E-Mobilität“
Die Autorin ist Gründerin der Verbundinitiative authentisch anders, die sich der grundlegenden Frage stellt: Wie kann eine menschenwürdige Gesellschaft gelingen und welche Impulsfunktion kommt dabei Unternehmen und Organisationen zu?

Katharina Daniels: Kommunikationsberaterin und Publizistin

Über die Autorin
Die Autorin ist Inhaberin von „Daniels Kommunikation“ (Sprache macht den Menschen aus) und Mitgründerin der Verbundinitiative „authentisch-anders: Für eine wache Kultur in Unternehmen und Gesellschaft„. Unter dem Leitgedanken der kulturellen Innovation begleiten die authentisch-anders Mentoren, mit jeweils individueller Expertise und Perspektive, Unternehmen als Sparringspartner, Inspirations- und Feedbackgeber. Damit innovationsbereite Unternehmen mit einer zukunftsweisenden Kultur Impulse in die Gesellschaft senden. Mit einer Kultur, die Mitarbeiterautonomie, Selbst-Verantwortung und Sinnhaftigkeit verbindet. In der CSR, New Work und agiles Management mehr als Worthülsen sind. So setzen Sie als Unternehmen Akzente authentisch anders – bei Ihren Stakeholdern und in Ihr gesellschaftliches Umfeld hinein!