Aus der Digitalisierung ist die sog. Künstliche Intelligenz (KI) erwachsen. Warum „sogenannte“? Fassen wir den Begriff der Intelligenz eng, dann mag die Dynamik maschinellen Lernens, kombiniert mit der Quantität an Daten, deren Verarbeitung ein menschliches Gehirn in dieser Schnelligkeit und Menge so nie leisten könnte, mit dem KI-Begriff zutreffend erfasst sein.  Aber ist menschliche Intelligenz nicht viel umfassender, vielschichtiger als die auf Kalkulierbarkeit beruhenden Schlussfolgerungen rechnergestützter Algorithmen? Um diese Fragestellung kreisen wir in Teil 3.

Vom humanoiden Go-Sieger“: Überholt uns die Künstliche Intelligenz (KI)?

Aus Perspektive der Wirtschaft beeinflusst die Umwandlung analoger Formate in Bits und Bytes heute branchenübergreifend Arbeitsprofile. In globalen Lieferketten kommunizieren technische Systeme untereinander (CPS), ohne dass Menschen dazwischenfunken. In den Medien werden faktenbasierte Berichte zunehmend von elektronischen Helfern erstellt, etwa Sport- oder Finanzberichte; in Call-Centern soll namhaften Zukunftsforschern zufolge schon in wenigen Jahren kein menschliches Wesen mehr am Headset sitzen – und selbst behördlicherseits steht bis spätestens Mitte der 20er Jahre unseres Jahrtausends der Ersatz eines Großteils an Sachbearbeiter-Posten durch elektronische Systeme auf der Agenda.

Aber wie konnte der Rechner uns im „Go“ besiegen?

Was allein die pure Menge an Faktenwissen, vor allem die Schnelligkeit der Informationsverarbeitung von bereitgestellten Daten angeht, steht wohl außer Frage, dass digitale Systeme dem menschlichen Hirn überlegen sind. Aus dieser Fähigkeit resultieren die Siege von Computern über den Menschen in Spielen wie Schach und Go. Nun mag man einwenden, dass die genannten Spiele strategisches und taktisches Vermögen erfordern, wie kann da der Computer obsiegen? Allein die Masse an Informationen über Millionen von Schachspielen, mit denen der elektronische Gegner „gefüttert“ wurde, kann das menschliche Gehirn gar nicht speichern. Hinzu kommt die sich zunehmend entwickelnde, datenbezogene, Kombinationsfähigkeit des rechnergestützten Spielgegners im Verfahren Versuch & Irrtum, welche die Begrifflichkeit sogenannter selbstlernender Systeme (deep learning), vulgo der künstlichen Intelligenz, begründet hat.

Deep Learning: Vom schmalen Grat zwischen (Er-)kennen und Erkenntnis

Der Lernprozess künstlicher neuronaler Netze firmiert unter „deep learning“. Das Erkennen von Datenkombinationen und daraus resultierend Mustern ist in unaufhörlicher Entwicklung. Millionen maschineller Systeme kommunizieren miteinander auf Basis von Milliarden von Datensätzen, mit denen sie „gefüttert“ wurden. So funktionieren bspw. automatisierte Übersetzungsprogramme. Nicht nur Begriffe, auch Satzverläufe und grammatikalische Feinheiten werden von den Systemen adaptiert. Texte im Sinne nachvollziehbarer Aussagen und Schlussfolgerungen gelingen in der Übersetzung heute bereits überwiegend zufriedenstellend bis sehr gut. Alles, was sich auch dem Menschen über eine Folgerichtigkeit, eine Kalkulierbarkeit erschließt, ist in zunehmendem Maße auf das elektronische System übertragbar.

Was aber, wenn hier, für das elektronische System nicht nachvollziehbare, Brüche und Deutungen auftauchen? Wenn der Zweifel die Kalkulierbarkeit erodieren lässt. An die (auch Ironie und Widersprüchlichkeit inkludierende) Metaphorik dichterischer oder philosophischer Texte etwa, an linguistische Stilformen wie Ellipsen und Hyperbeln, die sich der Folgerichtigkeit miteinander kombinierter Daten entziehen, scheitert bislang noch jedes „deep learning“.

Das Undenkbare denken widerspricht jeglicher Kalkulierbarkeit

Bereits Anfang der 50er Jahre des vorigen Jahrhunderts glaubte der MIT-Wissenschaftler und einer der Väter der Künstlichen Intelligenz, Marvin Minsky (1927-2016), an einen raschen Siegeszug nicht nur künstlicher Intelligenz, sondern elektronischen Bewusstseins. Im Vergleich, so Minsky, sei auch das menschliche Gehirn nicht mehr als eine Maschine aus Fleisch: eine „meat machine“. In dieselbe Richtung geht Jürgen Schmidthuber, Direktor des Dalle-Molle-Forschungsinstituts für Künstliche Intelligenz in der Schweiz: Der Mensch sei nichts anderes als eine physikalische Maschine, ein Netz aus Datenströmen, das Signale von außen kodieren und dekodieren könne (Wiedemann Carolin, Sprechen Sie mit dem Roboter, in: Frankfurter Allgemeine Quarterly, Ausgabe 07, Sommer 2018).

Wie aber verhält es sich mit Signalen, die es eigentlich noch gar nicht gibt oder geben kann? Bislang sind aus den vergangenen 70 Jahren weder eigenständig generierte Erkenntnisse noch Durchbrüche wissenschaftlicher Natur von der Künstlichen Intelligenz bekannt. Die Eigenwilligkeit menschlichen Verstehens, die auch Paradoxien zu inkludieren und Undenkbares zu denken vermag (von der Entdeckung des Sonnensystems bis zur Relativitätstheorie) ist eine der markantesten Fähigkeiten, die uns von humanoiden Systemen unterscheidet. Ein Beleg für das enorme Potential an unbewusstem Wissen des menschlichen Geistes, die schon oben erwähnte Intuition, sind die Mosaiken-Muster, die im Mittelalter für religiöse Stätten im Orient entworfen wurden. Die komplizierten geometrischen Strukturen konnten in ihrer Präzision nur auf mathematisch exakten Formeln beruhen, die allerdings erst im späten 20. Jahrhundert entschlüsselt wurden.

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Teil 1 der Reihe: Neues Leben, Lernen, Arbeiten
Teil 2 der Reihe: Gesellschaft im Umbruch
Teil 4 der Reihe: KI-Diener, Partner, Herrscher?

Aktuelle Publikation der Autorin: „Elektromobile Arbeitswelt: Agilität in Methoden und innerer Haltung“ im Kompendium „Systemwissen zur E-Mobilität“

Die Autorin ist Gründerin der Verbundinitiative authentisch anders, die sich der grundlegenden Frage stellt: Wie kann eine menschenwürdige Gesellschaft gelingen und welche Impulsfunktion kommt dabei Unternehmen und Organisationen zu?