Heute, aus absolut sinnvollen! Urheberrechtsgründen berechtigt nur zum stichwortartigen Zitieren aus einer aktuellen Philosophie-Kolumne in einem renommierten Philosophiemagazin – heute treibt es mich förmlich, zu diesem Beitrag zur Thematik ‚Identität aus linguistischer Perspektive‘ meinerseits eine Art Stellungnahme abzugeben, der Aufbereitungsform des Kommentars ähnlich, durchaus auch ein wenig Polemik in sich bergend, und umhüllt von der zitationsreichen Bezugnahme auf eben diese Kolumne, dieses Essay – welche Bezeichnung die treffende sei, das möge hier offen bleiben.

 

Beschwörungen von Identität: Hype oder Hysterie?

Worum geht es? Im aktuellen, von mir außerordentlich hochgeschätzten Philosophiemagazin „Hohe Luft“ “ (Nr. 5/2021, Schwerpunkt Motivation) hat mich insbesondere dieser Beitrag „Linguistic Abtörn“ von Bernd Graff regelrecht „vom Hocker gehauen“ – ja ich drücke es jetzt bewusst umgangssprachlich aus, da eher „vergeistigte“ Elogen meiner Begeisterung (wenngleich ich auch dieses Wort, also Begeisterung, welchem ich mich bereits in diesem Blogbeitrag etwas vertiefend gewidmet habe, seiner heute unglaublichen Gleichförmigkeit halber, eigentlich nicht mehr mag, aber ich weiß momentan kein besseres) kaum gerecht würden. Autor Graff seziert die (in Folge meine Worte und auch meine Einstellung dazu, nicht seine) grassierende Identitätshysterie in ihren Auswüchsen, als da vorrangig wären

  • Geschichtsklitterei (Dinge dürfen nicht so gewesen sein, wie sie nun mal waren, anders ausgedrückt, Vergangenheit wird umgeformt in einen heutigem Moralempfinden genehmen Modus),
  • unsag- und -unschreibbare Wörter, für deren zitationsfokussiertes Aussprechen der Sprecher, die Sprecherin bereits dem „Fegefeuer“ überantwortet wird (oft kombiniert mit Zuschreibungen von Kollektivschuld (*)),
  • sowie der Genderwahn, dass bestimmte Zeichen eine bessere Welt erschüfen.

Sämtlich Phänomene einer vermeintlichen Gerechtigkeitsverpflichtung, welche Autor Graff in folgende, in meinem Empfinden absolut den Punkt treffende, Analyse kleidet: „Die Debatte ist wieder angekommen bei einem Willen zu überzeitlicher, verbindlicher Wahrheit, an dem man sich abarbeitet wie der Schamane am Geist des Echten…So landet man nicht in einer besseren Welt, sondern im Reich der Ideologie“.

Von der gefährlichen Vermischung von Identität, Historie und Sprache

Es gibt noch etliche solcher Schlussfolgerungen des Autors, die aus meiner Sicht sämtlich zitationswürdig wären bzw. sind, dennoch möchte ich hier nicht den Rahmen dessen sprengen, was Zitationen, am Urheberrecht gemessen (**), berechtigt eine Grenze setzt. Nur ein paar (ganz sicher polarisierende) Schlussfolgerungsbeispiele respektive Zitationen noch, bevor ich zu dem komme, was die Annäherung Graffs an die genannten Phänomene von Identität meines Erachtens so erstmalig macht. Also, Zitat aus „Linguistic Abtörn“ zur Geschichtsbeugung: „Das Aushalten von Geschichte setzt sich bereits dem Verdacht ihrer nahtlosen Fortführung aus“, zu unsagbaren Wörtern: „Darum sucht eine sprachstalinistische Begriffsklauberei jeden Gebrauch von Vokabeln zu reglementieren, damit böse Gedanken erst gar nicht in Frage kommen“. Und zum sog. Gendern: „Das dritte Moment des Umbruchs von der Zeichenvernichtung zur Zeichenverherrlichung liegt in einem großen Missverständnis begründet…in der falsch verstandenen Lektüre von Judith Butlers ‚Gender Trouble‘…. Butler, eine Dekonstruktivistin reinsten Wassers, nahm die These Simone de Beauvoirs ernst, dass man ‚nicht als Frau zur Welt kommt, sondern dazu wird‘“. Das, was heute mit Binnen-I, doppelpunktigem (und Sternchen) Glottisschlag passiert, ist laut Graffs Analyse das Gegenteil dessen, was Butler intendierte: „Wo sich Butler gegen Zuschreibung wehrt, wird nun mit einer fast schon verbiesterten Autoritätsgeste (Identität) zugeschrieben“.

Identität und ihre Zuschreibung: Pros & Contras

Damit bin ich bei dem Aspekt des Graff‘schen Zugangs zum Phänomen Identität (heuer via einer, in meinem Empfinden, Sprachokkupation), welcher mich angesichts der aktuellen Debatte so fasziniert, ja ungewöhnlich dünkt: Die Argumente des Pro & Contra –

  • von der Schönheit der Sprache versus der gesellschaftlichen Gerechtigkeit,
  • von der neutralen respektive gendergerechten Berufsbezeichnung vs. der, historisch gewachsen, vorrangig männlich konnotierten,
  • bis zur Grundsatzfrage, ob es denn nicht Wichtigeres gäbe (fraglos, man denke nur an die hochaktuelle Tragödie in Afghanistan, aber dieses Argument des Wichtigeren ist so untauglich, wie Äpfel mit Birnen zu vergleichen)  –

– alle diese Dispute also sind unzählbar geführt worden. Graff nähert sich der Thematik über die Sprachphilosophie. Seine Fixpunkte: Ferdinand de Saussure, Michel Foucault, Jaques Derrida und deren Grundfrage: Was leistet Sprache? Und wie macht sie das?

Kann Identität durch Zeichen geschaffen werden?

Folgen wir Graffs Argumentation (eben in Anlehnung und auch Interpretation der eben genannten Philosophen), steht Sprache für ein System, bzw. stellt ein System dar, welches von Zeichen lebt, welche erst durch ihre Differenz jedes für sich existent sind: „Etwas ist, weil es alles andere nicht ist“. Die nun folgenden Tauchgänge in Foucaults Denken um das Wesen sprachlicher Struktur, um die Frage der Kausalität, was in der Struktur Subjekt, was Objekt sei, ob es (Derrida) ein Zentrum gäbe, welches sich der Macht der (sprachlichen) Struktur entzieht – all‘ dies führt Graff schlussendlich zur Folgerung im Sinne des Poststrukturalismus, „dass Identität, Bedeutung und Sinn (von Zeichen als Bestandteilen des Gesamtsystems Sprache, Anm. der Autorin) prinzipiell offenbleiben.“ In diesem Gedankengut ist das Eigentliche der ewige Fluss der Differenz zwischen den Zeichen, welche sich einer „Metaphysik der Substanz“ entziehen, also sich nicht zum ‚Echten‘, zum ‚Authentischen‘ umdeuten lassen: „Die Zeichen hören einfach nie auf, nach ihren Bedeutungen, die Sprache, nach ihrem Sinn zu suchen“.

Synkopen und Rhythmusbrüche im Hype um Identität

Und heute? Wird Sprache als solche zum Manifest erhoben, um, so Graff, „endlich zu Echtheit und Gerechtigkeit zu kommen…zu einer inkludierenden Sprache in einer diversen Gesellschaft der vielen gleichberechtigten Identitäten“. Mehr noch, in meinem (Sprach-)Empfinden – wird das Zeichen als solches sakrosankt, und blockiert derart den, wenn so will, rhythmisch-synkopischen Fluss der (Zeichen-)Gegensätze, welche sich wechselseitig bedingen: Gäbe es ein „Innen“ ohne ein „Außen“? Wie also vergegenwärtigen sie sich ihrer Existenz, die Journalist:innen, die Unternehmer:innen, die Mieter:innen  et. al.  – wenn ihnen doch kein “:außen“ zugestanden wird?! Ein augenfälliger Kohärenz-Bruch, der mir bereits seit langem das Zorneshäubchen auf den Kopf zaubert – und welchen zu meiner großen Freude (wer freut sich nicht, wenn von berufener Position aus bestätigt) Autor Graff ebenfalls aufgreift: „..gendert eine Nachrichtensprecherin, aber so unbeholfen, dass man nach ihren Ministerpräsident*innen innerlich auf das Ministerpräsident*außen wartet“.

Wenn Identität das Extrem berührt, das Gemeinsame negiert

Ja, es ist wichtig – und richtig – sich reflektiert auseinanderzusetzen mit (sprachlich-gedanklicher) Vergangenheit, auch der großen Denker, ebenfalls und mehr noch der, so unsägliches Leid verursachenden, sprachlichen Herabsetzung, Verächtlichmachung von Mitmenschen, welche – zu berechtigtem Entsetzen – die Vergangenheit nicht nur überdauert hat, sondern erneut in übelsten Auswüchsen (besonders in bestimmten politischen Richtungen) Urständ feiert. Es ist mehr als berechtigt, sich, hier und heute mit dem Fokus auf Identität, in das so schwergängige, so komplexe Gebiet von Gleichwertigkeit (nicht Gleich-Sein, das ist etwas anderes!) hineinzuwagen. Diese Sensibilität gesellschaftlich und von jedem Einzelnen einzufordern, das ist berechtigt, sehr berechtigt.
Hingegen Götzen sprachlicher Manifestationen respektive Verbotsarenen zu errichten, aus individuellen Empfindungen heraus – das scheint mir ein sehr bedenklicher Weg, der rasch genau dahinführt, wozu ja die (berechtigte und fraglos ehrenhafte) Distanz (am liebsten bisweilen das nicht-geschehen-sein) erstrebt wird, nämlich zur so fatalen Exklusion von Individuen bzw. ganzen Menschengruppen oder als solchen gekennzeichneten. Das aktuell so hoch gehypte Beharren auf Identität indes, so dünkt mich, erzeugt genau das Gegenteil: Statt Vielfalt zu integrieren, schließt der Anspruch an Wahrhaftigkeit, an gesehen-werden, welcher idealiter Widerlautendes, Widerstrebendes einbezieht, inkludiert, das Gemeinsame aus; krampfhaftes Identitätsbemühen betont eher das Spaltende, das Trennende: Die Extreme berühren sich.

 

 

(*): Eigens deswegen habe ich mir im Mai 2021 mal wieder „DIE ZEIT“ gekauft (die mich ihres intellektuellen Anspruchs halber sehr fasziniert), welche mich aber doch rein ihres Umfangs wegen von einem regelmäßigen Bezug abhält (sonst wären meine Tage als Selbstständige mit der Lektüre dieses Wochenmagazins gefüllt, und das wäre wirtschaftlich sicher nicht klug) – also in dieser Wochenausgabe Nr. 19 vom 6. Mai 2021 war das Titelthema Hannah Arendt – mein Motivans, mir diese Ausgabe zu kaufen; und mich auf den Beitrag zu stürzen: „Was würde Hannah Arendt dazu sagen?“ von Thomas Assheuer. Dieser Beitrag nun brachte mir (die ich bislang wirklich und in Gänze nur die Streitschrift von Arendt: „Die Freiheit, frei zu sein“, wahrlich studiert habe), Gedankengänge Arendts nahe, von denen insbesondere dieser Folgende sich des Themas ‚Identität‘ bemächtigt (es folgt in Form der Zitation Arendts ein Auszug aus eben dem Assheuer-Artikel, mit dem Original-Arendt-Zitat von ‚Die furchtbare Kluft bis …….Unschuld versteht‘): Hier der Auszug aus dem ZEIT-Beitrag: „…politisch löse der Rückzug auf Identität (zitierende Bezugnahme Assheuers auf Arendt, Anm. der Autorin) kein einziges Problem. ‚Die furchtbare Kluft zwischen Schwarz und Weiß wird nicht dadurch überbrückt, dass man sie im Sinne eines prinzipiell unlösbaren Konflikts zwischen kollektiver Schuld und kollektiver Unschuld versteht'“ Assheuer folgert: „Auch heute werden blockierte soziale Kämpfe in Kulturkämpfe verwandelt, und dann reden alle nur noch über Identitätspolitik und kaum jemand über das Gemeinsame“

 

(**): Noch eine Anmerkung: So gerne ich hier das Cover der aktuellen „Hohe Luft“ als Bild einbezogen hätte, so unterlasse ich dies doch vorsichtshalber aus Gründen von Bildrechten. Ebenso hoffe ich, Zitaten und damit der Wahrung des Urheberrechts in allen zitierten Passagen gerecht geworden zu sein.

 

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

 

Katharina Daniels: Kommunikationsberaterin und Publizistin

Über die Autorin
Die Autorin ist Inhaberin von „Daniels Kommunikation“ (Sprache macht den Menschen aus) und Mitgründerin der Verbundinitiative „authentisch-anders: Für eine wache Kultur in Unternehmen und Gesellschaft„. Unter dem Leitgedanken der kulturellen Innovation begleiten die authentisch-anders Mentoren, mit jeweils individueller Expertise und Perspektive, Unternehmen als Sparringspartner, Inspirations- und Feedbackgeber. Damit innovationsbereite Unternehmen mit einer zukunftsweisenden Kultur Impulse in die Gesellschaft senden. Mit einer Kultur, die Mitarbeiterautonomie, Selbst-Verantwortung und Sinnhaftigkeit verbindet. In der CSR, New Work und agiles Management mehr als Worthülsen sind. So setzen Sie als Unternehmen Akzente authentisch anders – bei Ihren Stakeholdern und in Ihr gesellschaftliches Umfeld hinein!